Jörg Stamm



Zur Person

 
Bambusschalung
Bambusschalung

Der gebürtige Drolshagener begann nach seinem Abitur und Zivildienst eine Tischlerausbildung. Gleichzeitig erlernte er die spanische Sprache, und legte so die Basis sein Ziel, als Entwicklungshelfer in zu arbeiten. Als gelernter Tischler faszinierten ihn Konstruktionen von Treppen, Häusern, Booten und Brücken seit Jahren und hat so sein Wissen nicht zuletzt in vielen Zimmereibetrieben erweitert. Sein erstes Umweltprojekt als Entwicklungshelfer war eine Biogasanlage in einem Dorf in Ecuador. Erst in Kolumbien lernte er den Bambus kennen und schätzen. Er benutze ihn bereits als Schalung von Betonbauten - eine echte Alternative zum Abholzen wertvoller Tropenhölzer des Regenwaldes.

Bambusschalung

Nach diesem ersten Kontakt mit diesem unterschätzen Baustoff erkannte er schnell sein Potential, und konnte sich seiner Faszination nunmehr nicht mehr entziehen

Jörg Stamm bei der Arbeit




Brücke von Coquiyo


Vorgeschichte

 
Brücke von Coquiyo

Ein Erdbeben in der Nähe vom "Nevado del Huila" im Juni 94, nach Monaten starker Regenfällen, verursachte eine Schlammwelle von ca. 20 m Höhe, die im Tal des Flusses Paez hinabging. Diese war für den Tod von 2000 Menschen verantwortlich, 120.000 wurden obdachlos und waren ohne Einkommen. Es mussten also in kürzester Zeit Häuser, Straßen und viele Brücken gebaut werden. Sehr bald nach den ersten Hilfsmaßnahmen begann eine Regierungsorganisation (von den Indios NASAY KIWE = unser Land genannt) mit dem Wiederaufbau dieses Gebietes. In weniger als einem halben Jahr waren allerdings die natürlichen Materialien durch die Aufbauwelle im Gebiet Paez bis fast nach Tierradentro verbraucht. Glücklicherweise begannen anschließend Wiederaufforstungsprogramme und andere Anstrengungen um das ökologischen System dieses Gebietes zu erhalten. Als nun der Direktor der NASA KIWE, der Umweltexperte Gustavo Wilches und sein Ingenieur Victor Jose Gomez über den Wiederaufbau diskutierten, forderten sie eine Brücke und entschieden sie sich für das Projekt von Jörg Stamm, der eine überdachte Brücke aus Bambus geplant hatte. Die einzige Bedingung war die Erstellung eines Kostenvergleichs mit einer Metallbrücke. So fuhr Jörg Stamm zum Institut für Leichbau " Frei Otto " in Stuttgart.

Hier traf er auf kompetente Ansprechpartner zum Thema Konstruktion mit Naturfasern. Jedoch verwies man ihn für die Statik der Konstruktion an Prof. Führer der RWTH Aachen. Hier war man in der Lage in nur 3 Tagen die Forschungen und einige Empfehlungen, Grafiken und Kalkulationen zu präsentieren. Anschließend kehrte Jörg Stamm nach Kolumbien zurück, unterzeichnete den Vertrag.


Statisches System

 
Statik

Die Krafteinleitung erfolgt nur an den beiden Vorlandpfeilern, d.h. die Endfleder der Brücke sind tatsächliche Kragarme. Grund ist die Ausbildung der Brückenrampen am Ufer. Diese mit Schotter gefüllten Drahtkörbe haben keine Gründung erhalten und sind so bei Hochwasser einer Unterspühlungsgefahr ausgesetzt. Die Brücke wäre also in der Lage ohne den Uferanschluß selbständig zu stehen, da allein die Pfeiler gegründet sind.
Der Bodenbelag ist in Beton ausgeführt, da die Brücke ebenfalls dem Autoverkehr zur Verfügung stehen soll. Daraus ergab sich eine lichte Breite von 2m. Zur Schalung wurde ebenfalls Bambus verwendet, indem man die Rohre spaltete und so die verlorene Schalung erhielt.
Die Sprengwerkkonstruktion wurde für die Belastung eines 2t-Fahrzeugs ausgelegt. Sie ist mit ihren124 weitgehend biegesteif durchgehenden Stäben hochgradig statisch unbestimmt, was wahrscheinlich die große Streuung der Materialeigenschaften kompensiert.


 

Bauablauf

Vor Ort wurde zuerst eine Drahtseilbahn zum Materialtransport installiert, mit dessen Hilfe man anschließend eine kleine Hilfsbrücke erstellte. Nun begann das Vorfertigen der Träger, bei der Jörg Stamm nicht nur in seiner Tätigkeit als Zimmermann gefordert wurde. Es galt nämlich die Einheimischen an eine ihnen fremde Arbeitsweise zu gewöhnen, das Arbeiten nach vorgefertigten Plänen. Doch mit guter Teamarbeit und Verständnis gelang ihm diese Aufgabe. Nachdem alle Verbindungen erstellt und ausgehärtet waren, bestand die nächste Aufgabe darin die zwei Tonnen schweren Träger an Ort und Stelle zu bewegen. Die Einwohner standen diesem Vorhaben skeptisch gegenüber und versuchten Stamm zu überzeugen, daß es doch so wohl nicht möglich sei. Doch gelang dieser Akt mit Hilfe zweier 12m hoher Drehbeine, Flaschenzüge und der Kraft von lediglich zwei Männern.

Nun konnten die neuen Knotenpunkte erstellt werden und mit Mörtel angefüllt werden. Hierbei ist die Konsistenz des Mörtels so eingestellt, daß bereits eine geringe hydrostatische Höhe ausreicht, um die Hohlräume komplett zu verfüllen.



Jörg Stamm sieht in diesem Projekt eine ungewöhnliche Variante des Technologie- transfers, indem das jahrhunderte alte europäische Grundsystem eine neue Integration mit anderen Werkstoffen im kolumbischem Raum erfährt.




Bauablauf in Bildern

Coquiyo
Vorbereitungen

Rückw. Vorw.

Von der Bambuspflanze zur Brücke


Vorbereitung

 

Am Anfang steht selbstverständlich die Ernte, die leider meistens noch durch Kahlhieb erfolgt, denn Wiederaufforstung findet meinst nicht oder nur vereinzelnt statt. Erfahrungsgemäß weist ist das mittlere Drittel eines Bambusrohres die höchste Festigkeit auf. Also wurden die Rohre zuerst gestückelt, um danach auf dem Holzlagerplatz 6 bis 12 Wochen luftgetrocket zu werden. Wenn man berücksichtigt, dass jeder Bambus individuellen Bedingungen während der Wachstumsphase ausgesetzt war, ist es einleuchtend, dass auch jedes Rohr unterschiedliche Eigenschaften besitzt. So sortiert man zuerst alle Bambusrohre nach Länge, Geradlinigkeit, Funktionsfähigkeit etc. Zusätzlich trifft man auch eine Vorauswahl, welche Rohre in welchem Teil der Brücke eingesetzt werden können, da auch an einigen Stellen gebogene Bambusrohre gebraucht werden.



Nach der Lufttrocknung wurden die Moose und Flechten abgewaschen und die Schotten über die ganze Länge des Rohres mit einer Eisenstange durchstoßen. So war es möglich den Bambus effektiv und vor allem vollständig zu imprägnieren, da gerade die inneren weichen Zonen die Salzlösung gut aufnehmen. In Kolumbien benutzt man üblicherweise Benzin oder Pentachlorphenol für diesen Prozeß, was Jörg Stamm aber ablehnte und sich lieber für ein borhaltige Imprägnierlösung entschied.



In der nächsten Phase wird die erste Bogenkonstruktion an einem Stück am Boden gefertigt. Um die Geometrie dieses Brückenteiles auch vor Ort mit einfachen Mitteln umsetzen zu können, bediente man sich einiger Tricks. Zuerst legt man mit Hilfe eines straff gespannten Seiles die Nulllinie fest, welche später einer waagerechten Gerade (hier die Unterseite) des Brückenbauteiles entspricht. Hierzu wählt man sich eine möglichst ebene größere Fläche im nahen Umkreis aus. Dort werden dann die Abstände der vertikalen Tragelemente abgemessen und markiert. Um die korrekte Höhe jedes vertikalen Stabes auch exakt rechtwinklig anzusetzen, spannt man mit einem Hilfsseil ein Dreieck auf, und richtet den Bambusstab orthogonal mit Hilfe des Pythagoras Satzes aus. Diese Stelle wird zunächst markiert.



An dieser Markierung wird der Bambusstab nun durchbohrt und eine Metallstange wird durch das Loch ca. 30cm in den Boden getrieben.

12 cm der Metallstange sollten noch oben überstehen, da man so im weiteren Verlauf an diesem Knotenpunkt das bogenförmige Bambusrohr anbringen kann

Verbindungen

Um aus mehreren kleineren Bambusrohren ein langes belastbares Rohr herzustellen, sollte die Schnittstelle nahe dem zweiten oder dritten Knoten liegen. Anschließend bearbeitet man die Innenseite des Rohres mit einem Stemmeisen und durchstößt die Innenwand um eine dünne Metallstange hineinstecken zu können. Jetzt kann die Verbindung mit Mörtel ausgefüllt werden. Der Abstand der Schnitte bei kombinierten Trägern sollte mindestens 1,5 m betragen.



Bei Bögen aus übereinander wirksamen Rohren sollten die Knoten zur besseren Statik versetzt werden. Dieses Prinzip ist auch aus dem Mauerwerksbau bekannt.

Während der Bauphase ist es nötig die Rohre provisorisch verbinden zu können, hierzu wird ein Haltegurt angelegt, welches die Rohre in der gewünschten Position halten. Später werden dann die Löcher für die Schrauben gebohrt und die Verbindung damit dauerhaft erstellt. Diese Schraubenverbindung sollte nahe der Knoten liegen, allerdings ist darauf zu achten, dass die Schrauben nicht zu fest angedreht werden, da die Gefahr besteht, dass die Rohre zerdrückt werden.



Um den bei Druckbelastung entstehenden Schubkräften entgegenzuwirken, werden an den entsprechenden Stellen zusätzliche dünne Metallstangen durch den "Balken" geführt.





Damit diese Stangen die Rohre unter Belastung nicht spalten, wird nun dieser Knotenpunkt zusätzlich mit Mörtel vergossen. Dazu ist es nötig ein Loch mit einem Mindestdurchmesser von 1 cm zu bohren um den Mörtel optimal einbringen zu können.



Forschung


 

Ein Problem, was den Bambusbau noch behindert, ist die Tatsache, daß es wenige wissenschaftliche Studien und Erfahrungswerte zu diesem Material gibt. Somit ist eine statische Berechnung, die von den Planungsbehörden gefordert wird schwerer zu erbringen, als für üblichere Materialien. Auch auf diesem Gebiet engagiert sich Jörg Stamm und untersuchte das Lastverhalten eines kompletten Bambusbinders an seiner Brücke.

Ergebnisse:
-bei der Aufbringung des Betonbelages entstand eine verteilte Last von 20 Tonnen auf einer Strecke von 40 m. Unter dieser Belastung senkte sich der Binder um lediglich 4 cm.
-bei asymetrischer Lasteinfuhr eines 3 Tonnen Lasters auf dem ersten Drittel der Brücke, gibt der Binder nur 3,5 mm nach.

Exakte Tests wurden hier allerdings nicht durchgeführt, aber lassen diese statischen Tests schnell erkennen, dass die Fasern des Guadua Bambus ein ernstzunehmender Konkurrent für manch andere "innovative" High-tech-Fasern ist.

Bambusseminar


 

Ein aktuelles Projekt Jörg Stamms ist sein Bambusseminar. Nach sechs Jahren Erfahrung auf diesem Gebiet, entschloß sich Stamm sein innovatives praxisorientiertes Wissen weiterzugeben.

So veranstaltete er in Kooperation mit der deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) und deren Partneruniversität in Pereira im August 2000 einen praktisch-theoretischen BrÜckenbaulehrgang für Architekten, Ingenieure und Handwerker. Unter der Leitung von Dr. Samuel Ospina (Dekan der Universitäts- fakultät) und Dr. Michael Tistl (Vertreter der Umweltprojekte der GTZ) entstand der Kurs in dem eine 40 M überspannende Fußgängerbrücke über eine doppelspurige Autostraße entstehen sollte.
Eine Brücke nach gleichem Bauplan entstand ebenfalls in Tierradentro, Inzá. Sie überspannt dort mit ihren 30 Metern einen Flußlauf.

 
Brücke in Tierradentro

Die Konstruktion beruht auf einem Entwurf des Schweizer Zimmermanns "Grubenmann" aus dem Jahre 1734
 
Entwurf von Grubenmann 1734

Dieses Seminar wurde im September 2000 abgeschlossen und hat gezeigt, daß auch ungeübte Arbeiter einen Bambusträger bereits nach 3 Tagen mit geringem maschinellem Aufwand herstellen können. Die Brücke ist das erste Bambusbauwerk im Stadtgebiet, welches alle statischen Genehmigungen erhalten hat. Zu verdanken war dieser Schritt nicht zuletzt der Offenheit des Bürgermeisters.

Bauablauf in Bildern

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Zusammenbau der Träger
am Boden

Rückw. Vorw.


Weitere Projekte